Unmöglich! Das war meine jahrelange Reaktion auf diese Kernaussage des Herz-Sutras. »Sutra« ist Sanskrit und bedeutet »Lehrrede«. Das Herz-Sutra ist das zentrale Element (»Herz«) in der buddhistischen Literatur über den erleuchteten Zustand vollkommener Weisheit. Es ist neben dem Diamant-Sutra die Grundlage des Zen-Buddhismus.
Warum mich dieses Sutra überhaupt interessiert hat? Nun, es ist wunderbar kurz. Es gilt als die knappste und treffendste Zusammenfassung einer sechshundertbändigen(!) Bearbeitung der Lehre Buddhas – auf nicht einmal einer Seite! Und es erinnerte mich an eine meiner Lieblingsstellen in Ein Kurs in Wundern: »Wir wollen still sein einen Augenblick, vergessen alle Dinge, die wir je gelernt, alle Gedanken, die wir je gedacht, und jedes Vorurteil, das wir darüber hegten, was die Dinge bedeuten und was ihr Sinn und Zweck ist.« (T-31.I.12.1). Dieses Still-Sein-und-Vergessen zieht sich über viele Stellen des Textbuches, des Übungsbuches und der Ergänzungen und ist die Grundlage für das Übungsbuch Teil II: »Worte werden jetzt wenig bedeuten … Denn wir harren in stiller Erwartung auf unseren GOTT und VATER … Sitze in Schweigen und warte auf deinen VATER …« (Ü-II.Einleitung).
Das Herz-Sutra besticht durch ziemlich viele Erwähnungen des Wörtchens »kein«. Eine wunderbar eindringliche Schilderung des »Vergessens« durch Aufzählung all dessen, was nicht wahr oder wirklich ist – Wahrnehmungen (siehe auch Lektion 1 des Kurses), (private) Gedanken und Gefühle (wie Lektion 10 des Kurses) sowie körperliche Empfindungen (Lektion 199 des Kurses). Damit das »Offensichtliche« sich zeigen kann.
Aber Form und Leere sind ein und dasselbe?! Das, nein, geht gar nicht. Das klappt die Fußnägel eines Kursanhängers unweigerlich nach oben. Also bin ich seinerzeit hingegangen und habe kurzerhand aus dem Herz-Sutra ein »kurskonformes Sutra« gebastelt.
Das eigene »Sutra«
Das »Ich« mit seinen Persönlichkeitsmerkmalen ist in seinem Wesen eine Täuschung, unwirklich und illusionär. Die Erscheinungen der Welt, alle ihre Formen, sind nicht wirklich. Dasselbe gilt für Empfindungen, Wahrnehmung, das mentale und emotionale Gedächtnis und das Bewusstsein von Objekten oder Symbolen.
Alle Formen dieses Daseins sind nicht entstanden, sie vergehen nicht, sie sind nicht mangelhaft und nicht zu vervollständigen.
In der Wahrheit gibt es keine Körper, keine Empfindungen, kein mentales oder emotionales Gedächtnis und kein Bewusstsein von Objekten oder Symbolen:
Weder Auge, Ohr, Nase, Zunge noch Denk-Organ; nichts, was man sehen, hören, riechen, schmecken, tasten, fühlen oder kognitiv erfassen könnte.
Da ist kein Wissen von Fakten, kein Ansammeln und kein Vergessen von Wissen, keine Dummheit und keine Klugheit, kein höheres Wissen, keine Geburt, kein Altern, kein Tod, keine Krankheit, kein Leiden, kein Streben und keine Aufhebung des Leidens, kein Urteil und keine Vergebung, kein Beginn, keine Entwicklung und kein Ende, keine Zeit und kein Vergehen der Zeit.
So sei nur still für einen Augenblick. Denn hinter den Geräuschen rauen und erbitterten Bemühens, vergeblich stets, ist eine STIMME, die zu dir von MIR spricht.
Höre DIESE einen Augenblick und sei geheilt.
Höre DIESE einen Augenblick und sei erlöst.
Die letzten Sätze waren eine etwas melodischere Übersetzung einer Stelle aus den Ergänzungen zu Ein Kurs in Wundern, Lied des Gebets, Heilung (L-3.IV.7).
Und Form = Leere?
Tja, da fiel Andreas Pröhl der Abschnitt »The Fear of Teaching« aus der Version »A Course in Miracles: Complete and Annotated Edition« von Robert Perry (C&A T-3.IX) in die Hände. Er war so berührt und begeistert, dass er den Abschnitt übersetzte, von Devavan Korrektur lesen ließ und in einer Aleph-Session dem staunenden Publikum vorstellte.
Bei Absatz 11 dieses Abschnitts wurde ich dann elektrisch: Da ist von René Descartes die Rede, dem französischen Philosophen, Mathematiker und Naturwissenschaftler aus dem 17. Jahrhundert. In meiner katholischen Schulzeit lernte ich seinen Gottesbeweis kennen, aber berühmt geworden ist er für sein »Cogito, ergo sum« (»Ich denke, also bin ich«). In besagtem Absatz wird seine interessante Lehrmethode erwähnt, mit der er die Existenz von allem in Frage stellte – außer die reine Tatsache seiner eigenen Existenz. Dieses Lehren änderte seine Wahrnehmung grundlegend. Ausgehend von der schlichten Erkenntnis seiner Präsenz gelangte er zur Anerkennung des ganzen Systems: Das, was er methodisch anzweifelte, um seine Existenz zu erkennen, war zweifellos »wirklich«! Form ist Leere, Leere ist Form!
Descartes erkannte das, was Ein Kurs in Wundern »Wirkliche Welt«, »Wahre Wahrnehmung«, Rechtgesinntheit oder »Schau CHRISTI« nennt. Im Buddhismus taucht in dem Zusammenhang häufig der Begriff »Leere (kū)« auf. Das deutsche Wort »Leere« klingt jedoch etwas irreführend, denn es ist verbunden mit einer Assoziation von »Nichts«, »Vakuum« oder »Nicht-Existenz«. Das ist aber keineswegs mit dem japanischen kū gemeint! Die Leere bezieht sich ausschließlich auf alles das, was wahrgenommen und damit in der Welt erfahren werden kann, also Sinneswahrnehmungen, körperliche Empfindungen, (private) Gedanken und Gefühle (Affekte, Emotionen). Leere ist die Abwesenheit dieser »Dinge«, im »spirituellen Mainstream« auch gerne als »das Gewahrsein an sich«, »reines Bewusstsein« oder »Ich bin DAS (Soham im Sanskrit)« bezeichnet. Kein Ding oder Objekt, sondern die Abwesenheit von Dingen oder Objekten. Willkommen in dem Herz-Sutra. Willkommen im Kurs.
Aber da fehlt noch der letzte Schritt, der in dem Absatz erwähnt wird: Was ist mit den von Descartes angezweifelten »Dingen« oder Bewusstseinsinhalten, die er letztlich als »wirklich« anerkannte, weil er sich selbst zweifellos als existent erkannte? Worin bestand die grundlegende Änderung seiner Wahrnehmung?
Ich beschreibe es einmal etwas näher am »Kurs Jargon«: Das Bewusstsein, die erste Spaltung nach der Trennung (T-3.IV.2) ist nicht nur die Ebene der (passiven) Wahrnehmung, sondern bringt auch die »Dinge« in der Welt hervor. Da der Geist nie aufhört zu erschaffen und nur LIEBE ist, dehnte er auch im Bewusstsein die LIEBE ununterbrochen aus. Unterbräche er die SCHÖPFUNG, hörte er auf zu existieren. Daher können auch die Bewusstseinsinhalte nur Ausdruck tätiger Liebe sein – außer, du willst es (im Rückblick) anders sehen, indem du dich ausschließlich auf die scheinbar getrennten »Dinge« konzentrierst. Das ist die Denkweise des Ego oder das Ego-Denksystem. Die Vergebung führt dich mithilfe Jesu oder des Heiligen Geistes zurück zur Sichtweise der Nichttrennung, zu dem einen Bewusstsein, zur wirklichen Welt, zur Schau CHRISTI, zur Rechtgesinntheit – die nicht die WIRKLICHKEIT des HIMMELS ist, sondern die Widerspiegelung dieser WIRKLICHKEIT im Bewusstsein.
Leere ist Form, Form ist Leere, also konnte Descartes das »System« (Bewusstsein und Bewusstes) als eins annehmen, als seine »Schöpfung« – die Voraussetzung dafür, dass GOTT den letzten Schritt tun kann. Zu dem Zeitpunkt, den du festgelegt hast (Lektion 158).